Massenentlassung

Massenentlassung

28. Mai 2021

Rechtliche Hürden bei Massenentlassungen

Kommt es in Unternehmen zu mehreren Entlassungen, muss immer geprüft werden, ob den Arbeitgeber besondere Anzeigepflichten treffen. Möglicherweise liegt eine sog. Massenentlassung vor, bei der vor Ausspruch der Kündigungen besondere Pflichten bestehen. Massenentlassungen unterliegen gem. § 17 I, III KSchG einer gesetzlichen Anzeigepflicht bei der Agentur für Arbeit. Grund der Anzeigepflicht ist es, den Behörden die Chance zu eröffnen, potenzielle soziale und ökonomische Folgen abzudämpfen, also einer Flut von neuen Arbeitslosen entgegenzuwirken. Zuerst muss festgestellt werden, ob eine Anzeigepflicht überhaupt besteht.

Ab wie vielen Mitarbeitern besteht eine Massenentlassung?

Die Grenzen für eine Massenentlassung werden in § 17 I KSchG geregelt. Im Rahmen einer Massenentlassung befindet sich wer innerhalb von 30 Kalendertagen in einem Betrieb mit mehr als 20 aber weniger als 60 Arbeitnehmern, 5 Kündigungen vornehmen will, oder mit mehr als 60 aber weniger als 500 Arbeitnehmern, 10% der regelmäßigen Belegschaft oder mehr als 25 Kündigungen vornehmen will, oder mit mehr als 500 Arbeitnehmern, mindestens 30 Kündigungen vornehmen will.

  • 20<AN<60  ab 5 AN
  • 60<AN<500  ab 10% der regelmäßigen Beschäftigten oder mehr als 25 AN
  • AN<500  ab 30 AN

Hierbei werden Änderungskündigungen mitberücksichtigt, unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer das unterbreitete Angebot ablehnt oder angenommen hat. Berücksichtigt werden auch Eigenkündigungen und Ausscheiden aufgrund eines Aufhebungsvertrags, soweit beides vom Arbeitgeber selbst veranlasst worden ist. Fristlose Entlassungen aus wichtigem Grund gem. § 626 I BGB sowie Entlassung aufgrund einer Befristung des Arbeitsverhältnisses bleiben gem. § 17 IV KSchG unberücksichtigt. Keine Anzeigepflicht besteht für Kleinbetriebe, öffentliche Unternehmen mit hoheitlichen Aufgaben (§ 23 II KSchG) sowie Saisonbetriebe (§ 22 KschG).

Betriebsbegriff

Um zu entscheiden, ob eine Anzeigepflicht besteht, muss aber auch geklärt werden, was alles zum „Betrieb“ im Sinne des Gesetzes gehört. Dieser Begriff ist nicht identisch mit dem Begriff des „Arbeitgebers“ oder des „Unternehmens“. Der Begriff des Betriebs hat sich seit der Massenentlassungsrichtlinie aus dem Jahr 1998 (98/59/EG) durch darauffolgende EuGH Rechtsprechung entwickelt (Az. C-80/14). Ein Betrieb ist danach die Einheit, der die betroffenen Arbeitnehmer zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten angehören. Es muss sich um eine klar unterscheidbare Einheit von einer gewissen Dauerhaftigkeit und Stabilität handeln. Sie muss darauf angelegt sein, bestimmte Aufgaben auszuführen, und dafür über eine Gesamtheit an Arbeitnehmern sowie dazu geeignete Betriebsmittel und organisatorische Strukturen verfügen. Die Arbeitnehmer müssen aus dieser Einheit heraus tätig sein und die Einheit kann über sie verfügen. Die Leitung der Einheit muss jedoch nicht der verantwortliche Entscheidungsträger über die Massenentlassungen sein.

Gestaltung einer wirksamen Massenentlassung

Informieren des Betriebsrats

Ergibt sich eine Anzeigepflichtigkeit, muss gem. § 17 III 3 KSchG spätestens zwei Wochen bevor eine Massenentlassungsanzeige erstattet wird, der Betriebsrat in einem Schreiben über die Entlassungen informiert werden. Dies gilt selbstverständlich nur, sofern es einen Betriebsrat gibt. Das Schreiben an den Betriebsrat muss

- die Gründe für die geplante Entlassung,

- die Anzahl der zu entlassenen Arbeitnehmer,

- deren Berufsgruppen,

- die Anzahl der normalerweise beschäftigten Arbeitnehmer und deren Berufsgruppen,

- den Zeitraum sowie die Kriterien für die Entlassungen

- und eine Berechnung von etwaigen Abfindungen enthalten.

Eine Abschrift dieser Mitteilung muss zeitgleich der Agentur für Arbeit zugehen (§ 17 III 1 KSchG). Ist der Betriebsrat vorschriftsmäßig unterrichtet worden, muss er zu den geplanten Entlassungen konsultiert werden (§ 17 II KSchG). Es sollen Beratungen stattfinden, in denen Möglichkeiten diskutiert werden, Entlassungen zu vermeiden, einzuschränken sowie deren Folgen abzudämpfen. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat also zumindest eine Verhandlungsmöglichkeit einräumen, eine Einigung muss jedoch nicht erzielt werden. Der Betriebsrat hat nach Erhalt der Mitteilung meist zwei Wochen Zeit, um eine Stellungnahme abzugeben (§ 17 III 3 KSchG). Nach zwei Wochen kann der Arbeitgeber nämlich auch ohne Stellungnahme die Anzeige erstatten (§ 17 III 3 KSchG). Da eine Stellungnahme auch später der Anzeige beigelegt werden muss, ist eine sorgsame Dokumentation des Beratungsprozesses empfehlenswert. Gibt es keinen Betriebsrat entfällt diese Pflicht und es kann direkt zur Anzeigeerstattung bei der Agentur für Arbeit übergegangen werden.

Agentur für Arbeit

Die Anzeige bei der örtlichen Agentur für Arbeit muss anschließend (ggf. unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrates) schriftlich erfolgen. Dafür kann ein Vordruck von der Website der Bundesagentur für Arbeit benutzt werden. Sie muss die gleichen Angaben enthalten, wie die Information an den Betriebsrat, also die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Anzahl der zu entlassenen Arbeitnehmer, deren Berufsgruppen, die Anzahl der normalerweise beschäftigten Arbeitnehmer und deren Berufsgruppen, den Zeitraum sowie die Kriterien für die Entlassungen und eine Berechnung von etwaigen Abfindungen. Mit Einvernehmen des Betriebsrats soll die Anzeige außerdem Angaben zu Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer machen. Hat der Betriebsrat keine Stellungnahme abgegeben oder sind Beratungen nicht abgeschlossen worden, wird die Anzeige als wirksam erachtet, wenn der Arbeitgeber gem. § 17 III 3 KSchG zu Grunde legen kann, dass der Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige schriftlich und richtig informiert worden ist und den jetzigen Beratungsstand nachweisen kann. Nachdem die Anzeige erfolgt ist, muss eine Abschrift davon auch dem Betriebsrat zugehen.

Welche Folgen haben Kündigungen bei Verletzung der Anzeigepflicht und fehlender Information des Beitriebsrates? Wirksamkeit der Kündigungen


Ist die Anzeige bei der Agentur für Arbeit wirksam eingegangen, beginnt mit Eingang der Ablauf einer einmonatigen Sperrfrist gem. § 18 I KSchG. Kündigungen werden erst mit Ablauf dieser Frist und Zustimmung der Agentur für Arbeit wirksam. Kündigungen können jedoch schon vor Ablauf der Frist ausgesprochen werden. Auf Antrag des Arbeitgebers kann die Arbeitsagentur die Sperrfrist auch verlängern oder verkürzen. Fehlt eine den Anforderungen des KSchG entsprechende Anzeige, also wurde der Betriebsrat nicht, nicht vollständig, nicht mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige gem. § 17 III 3 KSchG informiert, oder ist die Massenentlassungsanzeige unvollständig, so sind jegliche ausgesprochene Kündigungen unwirksam.

Wann muss der Arbeitgeber die Massenentlassungsanzeige erstatten?

Es ist grundlegend, dass der Arbeitgeber die zuständige Agentur für Arbeit informiert, bevor er Kündigungen ausspricht. Nach dem EuGH (C-188/03) wird die Entlassung nach dem KSchG nicht als Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Betrieb, sondern als Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung gesehen. Nach allgemeinem Verständnis laufen Kündigungs- und Sperrfristen jedoch parallel. Ist die Anzeige bei der Agentur für Arbeit wirksam eingegangen, kann der Arbeitgeber ab dann eine Kündigung aussprechen und somit die vertragliche Kündigungsfrist in Gang setzen. Es muss also nicht bis zum Ablauf der einmonatigen Sperrfrist (§ 18 I KSchG) gewartet werden. Haben die zu entlassenden Arbeitnehmer beispielweise eine vertragliche Kündigungsfrist von 3 Monaten, und will der Arbeitgeber den Betriebsaustritt zum 30. November eines Jahres veranlassen, so sollte die Anzeige bestenfalls Ende August eingegangen sein. Der Arbeitgeber kann dann unmittelbar zum Ende des Augusts die Kündigungen aussprechen und den Betriebsaustritt zum 30. November veranlassen. Besteht ein Betriebsrat, sollte dieser einige Wochen vor Anzeigeerstattung informiert worden sein, um genügend Zeit für die gesetzlich notwendige Konsultation gem. § 17 II KSchG zu lassen. Mindestens muss der Betriebsrat aber 2 Wochen vor Anzeigeerstattung, hier also spätestens Mitte August, informiert worden sein.

Welchen Inhalt muss die Massenentlassungsanzeige haben?

Die Anzeige muss der Agentur für Arbeit schriftlich zugehen und nach § 17 III 4 nachfolgende Information enthalten:

- Name des Arbeitgebers

- Sitz des Arbeitgebers

- Art des Betriebes

- die Gründe für die geplante Entlassung,

- die Anzahl der zu entlassenen Arbeitnehmer,

- deren Berufsgruppen,

- die Anzahl der normalerweise beschäftigten Arbeitnehmer und deren Berufsgruppen,

- den Zeitraum sowie die Kriterien für die Entlassungen

- und eine Berechnung von etwaigen Abfindungen.


Und mit Einvernehmen des Betriebsrats

- Geschlecht

- Alter

- Beruf

- Staatsangehörigkeit

Was tun bei Verdacht auf Verstoß gegen die Anzeigpflicht?

Hat der Arbeitgeber im Rahmen der Massenentlassung gegen das KSchG verstoßen, so muss der Arbeitnehmer seine Kündigung nicht hinnehmen. Er kann gem. § 4 KSchG innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht erheben.