Der Bundestag hat am 7. Juli 2023 das Verbandsklagenrichtlinienumsetzungsgesetz (VRUG) verabschiedet und damit den kollektiven Rechtsschutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern* gestärkt. Am 29.09.2023 hat das Gesetz den Bundesrat passiert. Kernstück des neuen Gesetzes ist die Einführung der sog. Abhilfeklage, die es Verbänden ermöglicht, gleichartige Leistungsansprüche von Verbrauchern gegen Unternehmen zu bündeln und im Rahmen eines Sammelklageverfahrens geltend zu machen. Damit wird der kollektive Rechtsschutz in Deutschland grundlegend verändert.

Sammelklage

Umsetzung von EU-Recht

Mit dem VRUG wird die europäische Richtlinie 2020/1828 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher in deutsches Recht umgesetzt. Die EU-Richtlinie ist am 25. November 2020 in Kraft getreten und hätte bis zum 25. Dezember 2022 in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Der Bundestag hat mit leichter Verspätung den Gesetzentwurf verabschiedet und nach Passieren des Bundesrates kann das Gesetz in Kraft treten. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten der EU, zwei Arten von Verbandsklagen gesetzlich vorzusehen. Verbände sollen im eigenen Namen Unterlassungsklagen erheben können, um Verstöße gegen Verbraucherrecht zu beenden, sowie Abhilfeklagen anstrengen können, mittels derer Verbraucherrechte durchgesetzt werden können.

Neue Klageform

Kernstück des Gesetzes ist die Einführung der Abhilfeklage, die im deutschen Recht bislang nicht existierte. Sie ermöglicht es Verbraucherverbänden, gleichartige Leistungsansprüche von Verbrauchern zu bündeln und unmittelbar gegen ein Unternehmen gerichtlich einzuklagen. So können beispielsweise Ansprüche auf Schadensersatz, Nachbesserung, Ersatzleistung oder Minderung wegen Produktmängeln einfacher geltend gemacht werden. Der Vorteil des neuen Verfahrens liegt darin, dass die Abhilfeklage zu einem vollstreckbaren Titel führt und die Beteiligten ihre Ansprüche anschließend nicht mehr selbst einklagen müssen.

Bisheriger unzulänglicher kollektiver Rechtsschutz

Bislang gab es im deutschen Zivilprozessrecht kein Instrument des kollektiven Rechtsschutzes, mit dem Schadensersatzansprüche gebündelt geltend gemacht werden konnten. Im Zuge des VW-Dieselskandals wurde 2018 die Musterfeststellungsklage eingeführt, die es Verbrauchern ermöglicht, gemeinsam gegen Unternehmen zu klagen. Allerdings beschränkt sich das Klageziel auf die Feststellung, ob die Ansprüche der Verbraucher dem Grunde nach bestehen (oder nicht). Die Musterfeststellungsklage führt jedoch nicht zu einem vollstreckbaren Titel. Der Verbraucher muss daher seine festgestellten individuellen Ansprüche, z.B. auf Schadensersatz, anschließend gesondert, wenn erforderlich gerichtlich, geltend machen. Zu Recht wird der kollektive Rechtsschutz in Deutschland daher seit langem als defizitär kritisiert. Dies soll sich mit der Einführung der Abhilfeklage ändern.

Neues Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz

Da Abhilfeklagen durch Verbände im deutschen Recht bislang nicht existierten, bedarf es zur Umsetzung der Richtlinie der Schaffung entsprechender Regelungen. Diese sollen in einem eigenen Gesetz, dem Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG), zusammengefasst werden. In das neue Gesetz sollen auch die bestehenden Regelungen der Zivilprozessordnung (ZPO) zur Musterfeststellungsklage integriert werden. Auch die Regelungen zu Unterlassungsklagen durch Verbände sollen an die Vorgaben der Richtlinie angepasst und ergänzt werden.

Wann ist die Abhilfeklage das richtige Instrument?

Gegenstand der Abhilfeklage sind alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, die Ansprüche und Rechtsverhältnisse einer Vielzahl von Verbrauchern gegen ein Unternehmen betreffen (§ 1 Abs. 1 VDuG). Der Anwendungsbereich erstreckt sich damit nicht nur auf verbraucherschützende Vorschriften, sondern beispielsweise auch auf das allgemeine Deliktsrecht. Verbände sollen diese Klage künftig erheben können, wenn sie mindestens 50 betroffene Verbraucher vertreten. Darüber hinaus sollen sich auch kleinere Unternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanz von nicht mehr als zwei Millionen Euro Verbandsklagen anschließen können (§ 1 Abs. 2 VDuG).

Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Abhilfeklage

Klageberechtigt sind nicht die Verbraucher selbst, sondern bestimmte zugelassene Verbraucherverbände, die in der Liste des § 4 des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) eingetragen sind. Die Verbände dürfen nicht mehr als fünf Prozent ihrer finanziellen Mittel aus Zuwendungen von Unternehmen beziehen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 VDuG).

Für die Zulässigkeit einer Klage genügt es, wenn der Verbraucherverband die mögliche Betroffenheit von mindestens 50 Verbrauchern nachvollziehbar darlegt (§ 4 Abs. 1 VDuG). Ein Nachweis der tatsächlichen Betroffenheit ist darüber hinaus nicht erforderlich. Die betroffenen Ansprüche müssen „im Wesentlichen gleichartig“ sein (§ 15 Abs. 1 Satz 1 VDuG). Dies ist der Fall, wenn die Ansprüche auf demselben Sachverhalt oder auf einer Reihe im Wesentlichen vergleichbarer Sachverhalte beruhen und für die Ansprüche dieselben Tatsachen- und Rechtsfragen entscheidungserheblich sind (§ 15 Abs. 1 Satz 2 VDuG).

Das Opt-In Prinzip: Späteres auf den Zug aufspringen ist möglich

Der Opt-In Zeitpunkt, d.h. der Zeitpunkt, bis zu dem sich Verbraucher einer Verbandsklage anschließen können, ist bis zum Ablauf von drei Wochen nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung möglich (§ 46 Abs. 1 Satz 1 VDuG). Die Verbraucher müssen sich der Verbandsklage aktiv anschließen, indem sie einen Antrag auf Eintragung in das Verbandsklageregister beim Bundesamt für Justiz stellen.

Fazit

Das Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie wird den kollektiven Rechtsschutz für Verbraucher in Deutschland grundlegend verändern. Die gebündelte Geltendmachung von Ansprüchen gegen Unternehmendurch Verbände verhilft Verbrauchern schneller zu ihrem Recht zu kommen und erspart ihnen damit viel Zeit und Geld. Auch die Gerichte könnten durch die Einführung der neuen Klageform entlastet. So wird erwartet, dass insgesamt weniger individuelle Klagen bei den Gerichten erhoben werden. Ob dies der Fall sein wird, bleibt abzuwarten. Unternehmen und ihre Rechtsabteilungen sollten sich frühzeitig mit den neuen Verfahrensarten vertraut machen, um für den Ernstfall vorbereitet zu sein. Als erfahrene Prozessanwälte beraten wir Sie gerne zu diesem Thema.

* Verwenden wir in Zukunft wegen der besseren Lesbarkeit ausschließlich das generische Femininum oder das generische Maskulinum, sind hiervon ausdrücklich sämtliche Geschlechter mitumfasst.