Die Ausübung des Widerspruchsrechts verstößt gegen Treu und Glauben, wenn sich Versicherungsnehmer auf lediglich geringfügige Belehrungsfehler in der Widerspruchsbelehrung berufen. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit Urteil vom 15. Februar 2023 (IV ZR 353/21) entschieden. Geringfügige Belehrungsfehler nehmen Versicherungsnehmern nicht die Möglichkeit, ihr Widerspruchsrecht unter den gleichen Voraussetzungen auszuüben wie bei einer ordnungsgemäßen Belehrung.

Sachverhalt

Im vorliegenden Fall hatten die Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer mit dem Versicherer im Jahr 2002 fondsgebundene Lebens- und Rentenversicherungsverträge nach dem sogenannten Policenmodell im Sinne des § 5a VVG (alte Fassung) abgeschlossen.

Bei dem von 1994 bis 2007 geltenden Policenmodell erhielten die Versicherungsnehmer die Vertragsunterlagen erst nach Vertragsunterzeichnung zusammen mit dem Versicherungsschein (Police). Nach Vertragsabschluss hatten die Versicherungsnehmer 14 Tage Zeit, dem Vertrag schriftlich zu widersprechen. Das Policenmodell wurde vom Bundesgerichtshof teilweise als europarechtswidrig eingestuft (Az. IV ZR 76/11 und IV ZR 73/13) und ist seit der VVG-Reform unzulässig. Der BGH hat entschieden, dass Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer ein unbefristetes Widerspruchsrecht haben, wenn sie nicht ordnungsgemäß über ihr Widerspruchsrecht belehrt wurden (Az. IV ZR 76/11, IV ZR 384/14, IV ZR 448/14). Im Falle eines wirksamen Widerspruchs gilt der Vertrag als nicht geschlossen.

Im vorliegenden Fall wurden die nach dem Policenmodell abgeschlossenen Verträge von den Versicherungsnehmern in den Jahren 2016 und 2017 zunächst gekündigt. Darüber hinaus erklärten sie jeweils im Jahr 2018 den Widerspruch, um die Verträge nach § 5a VVG a.F. rückabzuwickeln. Den Widerspruch begründeten die Versicherungsnehmer damit, dass die Widerspruchsbelehrung fehlerhaft sei. Denn die Belehrung enthielt die unzutreffende Information, dass der Widerspruch in Schriftform, also mit Unterschrift, zu erfolgen habe, obwohl nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. ein Widerspruch in Textform genügte.

Vorinstanzen

Die Vorinstanzen wiesen die Klage der Versicherungsnehmer ab. Es habe ein vorrangiges schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers auf den Fortbestand des Vertrages bestanden. Die fehlerhafte Belehrung über die einzuhaltende Form habe die Versicherungsnehmer nicht ernsthaft davon abhalten können, das Widerspruchsrecht innerhalb der Frist auszuüben, die bei ordnungsgemäßer Belehrung gegolten hätte. Es sei davon auszugehen, dass die Versicherungsnehmer auch bei Kenntnis ihres Rücktrittsrechts am Vertrag festgehalten hätten. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin.

Die Entscheidung des BGH

Der BGH hat die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt. Die Ausübung des Widerspruchsrechts verstößt bei einem geringfügigen Belehrungsfehler in der Widerspruchsbelehrung gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Die fehlerhafte Belehrung über die Form der Widerspruchserklärung stellt einen nur geringfügigen und im Ergebnis folgenlosen Verstoß des Versicherers gegen seine Pflicht zur ordnungsgemäßen Belehrung dar. Dem Versicherungsnehmer wird dadurch nicht die Möglichkeit genommen, sein Widerspruchsrecht unter im Wesentlichen gleichen Bedingungen auszuüben wie bei einer ordnungsgemäßen Belehrung.

Nicht entscheidungserheblich war zwar die Frage, ob das Policenmodell mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Der BGH führt hierzu jedoch aus, dass es auch im Falle einer unterstellten Unionswidrigkeit des Policenmodells dem im Wesentlichen ordnungsgemäß belehrten Versicherungsnehmer verwehrt sei, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen vermeintliche Unwirksamkeit zu berufen und hieraus Bereicherungsansprüche wegen widersprüchlicher Rechtsausübung herzuleiten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der BGH mit dieser Entscheidung dem Widerspruchsrecht bei Lebens- und Rentenversicherungen Grenzen gesetzt hat. Nicht jeder Fehler in der Widerspruchsbelehrung soll bei Versicherungen, die nach dem Policenmodell abgeschlossen wurden, zwangsläufig zur Rückabwicklung des Vertrages berechtigen.

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