Verzug

Verzug

26. Oktober 2017

Im Wirtschaftsverkehr ist es keine Seltenheit, dass eine geschuldete Leistung nicht rechtzeitig erbracht wird bzw. werden kann. Die Leistung ist hier klassischerweise die Lieferung einer Ware. Leistung im Rechtssinne bezeichnet aber jedes Handeln zur Erfüllung einer Schuld, so dass hierunter etwa auch die Zahlung der Miete, die Fertigstellung eines Auftrags oder die Auszahlung eines Abfindungsanspruchs zu fassen sind. Wird eine Leistung fällig und erbringt der Schuldner sie nicht, kann der Gläubiger ihn „in Verzug“ setzen, so dass dann eventuell sog. "Zahlungsverzug" besteht.

Grundsätzlich ist für den Verzug eine Mahnung erforderlich, in Ausnahmefällen kann die Mahnung aber unterbleiben. Unter welchen Voraussetzungen der Verzug vorliegt und welche Rechtsfolgen sich hieraus ergeben, ist in den §§ 286 ff. BGB geregelt.

Wann gerät man in Verzug?

Man gerät in Verzug, wenn

– Die geschuldete Leistung fällig ist,

– Der Schuldner gemahnt wurde, es sei denn einer Mahnung bedarf es nach § 286 Abs. 2 BGB nicht,

– Und der Verzug nicht nach § 286 Abs. 4 BGB ausgeschlossen ist, was dann der Fall ist, wenn die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den der Schuldner nicht zu vertreten hat

Wann ist eine Leistung fällig?

Unter dem Begriff Fälligkeit wird der Zeitpunkt verstanden, ab dem der Gläubiger die Leistung fordern kann. Wenn kein Zeitpunkt für die Leistung bestimmt ist oder sich aus den Umständen entnehmen lässt, muss grundsätzlich „sofort“ geleistet werden, § 271 Abs. 1 BGB. Häufig wird es so sein, dass im Vertrag ein bestimmter Termin oder eine Frist bestimmt ist, zu der geleistet werden muss. Üblich sind etwa Formulierungen wie „Zahlung bis 30 Tage nach Zugang der Rechnung“. Es kann auch sein, dass Sonderregelungen für die Leistungszeit durch Gesetz bestimmt werden. Bei Wohnraummietverhältnissen ist die Miete z. B. nach § 556b BGB bis spätestens zum dritten Werktag des Monats zu entrichten, Stromrechnungen werden frühestens zwei Wochen nach Zugang der Zahlungsaufforderung fällig, § 17 StromGVV. Ist keine Leistungszeit bestimmt, ist auf die Umstände des jeweiligen Schuldverhältnisses abzustellen.

Der Anspruch des Bestellers einer individuell auf seine Bedürfnisse zugeschnittenen Software auf Lieferung einer zum Betrieb der Software erforderlichen Dokumentation wird z. B. erst mit dem Abschluss der Arbeiten an dem Programm fällig (BGH, Urt. vom 20.02.2001 - X ZR 9/99). In vielen Fällen muss also nicht „sofort“ geleistet werden. Wenn die Fälligkeit weder bestimmt ist noch aus den Umständen zu entnehmen ist, muss der Schuldner die Leistung so schnell bewirken, wie ihm das nach objektiven Maßstäben möglich ist. Der Gläubiger hat, wenn überhaupt, nur in sehr engen Grenzen zu warten.

Mahnung und Entbehrlichkeit der Mahnung

Wird nach Fälligkeit nicht geleistet, so gerät der Schuldner ohne Weiteres sofort in Verzug. Grundsätzlich bedarf es für den Eintritt des Verzugs einer Mahnung. Unter einer Mahnung im Rechtssinne ist jede eindeutige und bestimmte Aufforderung, mit der der Gläubiger unzweideutig zum Ausdruck bringt, dass er die geschuldete Leistung verlangt, zu verstehen (BGH, Urt. vom 10.03.1998 – X ZR 70/96). Die Mahnung ist eine nicht formgebundene, geschäftsähnliche Handlung, auf die die Vorschriften über die Willenserklärung entsprechende Anwendung finden. Sie darf erst nach Eintritt der Fälligkeit erfolgen. Eine Leistungs-Frist muss in der Mahnung nicht gesetzt werden.

In bestimmten Fällen ist eine Mahnung jedoch entbehrlich. Das Gesetz zählt in § 286 Abs. 2 BGB abschließend derartige Fälle auf. Einer Mahnung bedarf es – etwas vereinfacht gesagt – nicht, wenn

– Für die Leistung ein Termin vereinbart wurde

– Es eines vorausgehenden Ereignisses, z.B. dem Zugang einer Rechnung, bedarf, ab dem sich eine vereinbarte Frist kalendermäßig berechnen lässt (z. B. „eine Woche nach Zugang der Rechnung“)

– Der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert oder

– Der sofortige Eintritt des Verzugs aus besonderen Gründen und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen begründet ist (z.B. wenn der Schuldner die alsbaldige Leistung selber ankündigt, und dann aber nicht leistet, sog. Selbstmahnung, oder wenn der Schuldner durch sein Verhalten den Zugang der Mahnung verhindert)

Darüber hinaus kommt ein Schuldner einer Entgeltforderung spätestens dann in Verzug, wenn er nicht innerhalb von 30 Tagen nach der Fälligkeit und Zugang einer Rechnung oder gleichwertigen Zahlungsaufstellung leistet, § 286 Abs. 3. S. 1 BGB. Gegenüber Verbrauchern gilt dies allerdings nur, wenn in der Rechnung auf diese Folgen besonders hingewiesen wurde.

Vertretenmüssen

Der Schuldner kann dem Eintritt des Verzugs entgegentreten, indem er einwendet, er habe die Umstände, infolge derer die Leistung unterbleibt, nicht zu vertreten, § 286 Abs. 4 BGB. Aus der Formulierung des Gesetzes ergibt sich, dass der Schuldner die Beweislast für das fehlende Vertretenmüssen trägt.

Was der Schuldner zu vertreten hat, bestimmt sich wie üblich nach den §§ 276 – 278 BGB. Nicht zu vertreten hat er aber etwa eine vorübergehende Unmöglichkeit der Leistung aufgrund höherer Gewalt oder einer schweren Krankheit (es darf dann keine Ersatzmöglichkeit bestehen) und auch dann, wenn der Gläubiger eine notwendige Mitwirkungshandlung unterlässt. Es kann auch eine rechtliche Unmöglichkeit aufgrund unvorhergesehener gesetzlicher Verbote, z. B. einer Einfuhrbeschränkung, vorliegen. Der Schuldner kann sich jedoch nicht auf Umstände, die sich in seiner Risikosphäre befinden, berufen. So kann er keine Fehlkalkulationen, Lieferengpässe, finanzielle Schwierigkeiten o.ä. geltend machen, um dem Vertretenmüssen entgegenzutreten.

Rechtsfolgen des Verzugs

Der Schuldner hat dem Gläubiger den „Verzögerungsschaden“ zu ersetzen. Der Verzögerungsschaden ist der Verlust, den der Gläubiger gerade dadurch erleidet, dass der Schuldner zu spät geleistet hat. Der Gläubiger ist also so zu stellen, wie er bei rechtzeitiger Leistung stünde. In Betracht kommen insbesondere folgende Schadenspositionen:

– Entgangener Gewinn, § 252:

Der Gläubiger kann den Gewinn ersetzt verlangen, den er gemacht hätte, wenn die Leistung rechtzeitig erbracht worden wäre. Ein klassisches Beispiel ist hier das eines Händlers, der seine Waren nicht rechtzeitig erhält und sie deshalb nicht zu einem höheren Marktpreis weiterverkaufen kann – etwa dann, wenn der Abnehmer der Ware wegen der Verzögerung „abspringt“. Der Händler kann dann die Differenz zwischen dem vertraglich vereinbarten Preis und dem Marktpreis verlangen. Allerdings kann ein Verzögerungsschaden wegen entgangenen Gewinns zum Beispiel auch dann vorliegen, wenn der Gläubiger glaubhaft machen kann, dass er ihm geschuldetes Geld gewinnbringend in Aktien investiert hätte (BGH, Urt. vom 18.02.2002 – II ZR 355/00). Beweispflichtig ist der Geschädigte, nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind hier aber keine zu strengen Anforderungen zu stellen (vgl. z.B. BGH, Urt. vom 13.10.2016 – IX ZR 149/15). Es müssen also Umstände dargelegt werden, aus den sich nach gewöhnlichem Verlauf der Dinge die Wahrscheinlichkeit eines Gewinneintritts ergibt und die hinreichende Anknüpfungspunkte für eine Schätzung der Schadenshöhe bieten. Der Ersatzpflichtige kann dann wiederum beweisen, dass der Gewinn im konkreten Fall doch nicht erzielt worden wäre.

– Nutzungsausfallschaden:

Ein Nutzungsausfallschaden kommt grundsätzlich nur in Frage, wenn durch die nicht rechtzeitige Leistung eine Nutzungsmöglichkeit vorenthalten wird, deren ständige Verfügbarkeit für die wirtschaftliche Lebenshaltung von zentraler Bedeutung ist. Ein Bauträger, der eine Wohnung nicht rechtzeitig fertigstellt, müsste den Schaden ersetzen, den der Auftraggeber dadurch erleidet, dass er weiterhin (anderswo) Miete zahlen muss oder die Wohnung nicht vermieten kann. Nach einer Entscheidung des BGH kann man in diesem Fall sogar einen Nutzungsausfallschaden für die eigene Nutzung der herzustellenden (bzw. zu renovierenden) Wohnung geltend machen, wenn man in dem fraglichen Zeitraum keinen in etwa gleichwertigen Wohnraum zur Verfügung hatte (vgl. zu allem BGH, Urt. vom 20.02.2014 – VII ZR 172/13).

– Verzugszinsen:

Eine Geldschuld ist nach § 288 BGB während des Verzuges mit 5 % über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Ist kein Verbraucher an dem Rechtsgeschäft beteiligt, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen 8 % über dem Basiszinssatz.

– Kosten der Rechtsdurchsetzung:

Die Kosten für eine erste Mahnung kann der Gläubiger nicht ersetzt verlangen, da diese nicht durch den Verzug verursacht worden ist, sondern diesen erst begründet – etwas anders natürlich dann, wenn der Verzug auch ohne Mahnung eintritt. Sachdienliche und zweckmäßige Kosten für eine Mahnung bzw. Fristsetzung nach Eintritt des Verzugs sind ersatzfähig. Dies gilt auch für Kosten, die durch Beauftragung eines den Schuldner mahnenden Rechtsanwalts entstanden sind. Auch Inkassokosten, die nicht mit der Erstmahnung zusammenhängen sind ersatzfähig. Die Obergrenze für die Ersatzpflicht richtet sich nach dem RVG. Der Zeitaufwand des Gläubigers ist dabei ebenso wie dessen Organisations- oder Personalkosten grundsätzlich nicht ersatzfähig, mahnt er also selber, kann er in der Regel nur 2 bis 3 Euro für Papier und Porto verlangen. Reagiert der Schuldner auf eine Mahnung gar nicht, ist also für den Gläubiger nicht abzusehen, wie der Schuldner sich verhalten wird, so hat der BGH in einer neueren Entscheidung klargestellt, dass nicht nur die Anwaltskosten für ein einfaches Schreiben, sondern auch die Kosten für eine Beratung hinsichtlich eines weiteren Vorgehens ersatzfähig sind (BGH, Urt. vom 17.10.2015 – IX ZR 280/14).

Eine weitere Folge des Verzugs ist die nach § 287 BGB angeordnete Haftungsverschärfung. Der Schuldner haftet während des Verzugs für jede Fahrlässigkeit und auch für Zufall, es sei denn, dass der Schaden auch bei rechtzeitiger Leistung eingetreten wäre. Insbesondere bei der Unmöglichkeit der Leistung nach § 275 BGB ist § 287 BGB von Relevanz, denn die Vorschrift des § 287 S. 2 BGB umfasst zufälliges Unmöglichwerden der Leistung und zufällig eintretende Unzumutbarkeit der Leistungserbringung.

Beispiel: Wird die zu liefernde Sache während des Verzugs zerstört, ist die Leistung dieser Sache unmöglich. Der Gläubiger wird dann vom Schuldner Schadensersatz wegen Unmöglichkeit der Leistung verlangen. Voraussetzung für einen ersatzfähigen Schaden ist, dass ein Zusammenhang zwischen dem Verzug und dem Schaden besteht – dies ist, wie gezeigt, bei entgangenem Gewinn aufgrund des Verzugs kein Problem. Der Verzug selbst hat aber in der Regel mit der Zerstörung der Sache (und der damit verbundenen Unmöglichkeit) unmittelbar nichts zu tun, sodass dann, wenn der Schuldner die Zerstörung der Sache nicht zu vertreten hat, ein Schadensersatz ausscheidet. Hier kommt aber die Haftungsverschärfung des § 287 BGB auch für Zufall ins Spiel. Wird die Sache also beispielsweise durch Hochwasser zerstört (Zufall), überwindet § 287 BGB den an sich fehlenden Zurechnungszusammenhang, sodass ein Schadensersatzanspruch doch besteht.

Der Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens tritt neben den Anspruch auf Leistung und bleibt bestehen, wenn sich der Leistungsanspruch in einen sonstigen Anspruch auf Schadensersatz oder Rückgewähr umwandelt. Das heißt, dass der Gläubiger neben dem Schaden, der aufgrund des Verzugs entstanden ist, auch weiterhin die Leistung verlangen kann.

Beendigung des Verzugs

Der Verzug endet, wenn die Leistungshandlung vorgenommen wird. Es gibt aber auch weitere Gründe, bei deren Eintritt der Verzug endet. Zu nennen sind hier insbesondere:

– Untergang des Anspruchs (z. B. durch Anfechtung, Widerruf, Unmöglichkeit)

– Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts

– Stundungsvereinbarung

– Verjährung

– Erlass der Forderung

Der Verzug endet dann „mit Wirkung für die Zukunft“, sodass einmal entstandene Verzugsfolgen – z. B. Zinsen – weiterhin bestehen bleiben.