Verschuldensunabhängige Haftung

Die verschuldensunabhängige Haftung

07. April 2022

Man stelle sich folgende Szene vor: Eine Katze fällt einen ausgewachsenen Golden Retriever an, bzw. sie versucht es zumindest. Der Hund bekommt es mit der Angst und versteckt sich hinter seiner Besitzerin. Bei diesem Sprung in die vermeintliche Sicherheit reißt die Hundeleine so fest am Finger der Hundehalterin, dass diese mit einem gebrochenen Finger aus diesem Slapstick-Moment hervorgeht. So erlebte es unsere studentische Mitarbeiterin Lara, die sich auf diese Weise intensiver mit der sog. Tierhalterhaftung auseinandersetzen durfte. Die Katze war einfach auf Hund und Halterin „losgegangen“. Eigentlich also ein klarer Fall: Die Katze war Schuld. Jedoch stellte sich bald die Frage eines möglichen Mitverschuldens der Hundehalterin, die die Leine ihres Tieres nicht losließ, um so ihren Pflichten nachzukommen. Man könnte also argumentieren, dass dies für den Fingerbruch kausal war. Es stellt sich also die Frage, wer für was in einem solchen Fall einzustehen hat.

Tierhalterhaftung § 833 BGB

Normalerweise gilt nach § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), dass jemand, der vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet ist. § 823 BGB ist ein Schadenersatzanspruch, der aufgrund unerlaubter Handlungen geltend gemacht werden kann und einen Ausgleich für alle Schäden regelt, die eine Person bei einer anderen Person oder an einer anderen Sache widerrechtlich verursacht. Damit es zu einer Haftung kommen kann, muss grundsätzlich ein Verschulden vorliegen.

Etwas anderes gilt jedoch für den Tierhalter. Dieser haftet nach § 833 BGB auch ohne eigenes Verschulden für Schäden, die durch sein Tier entstehen. Eine Haftung, die kein Verschulden voraussetzt, wird auch Gefährdungshaftung genannt. Diese verschuldensunabhängige Haftung des Tierhalters wird dadurch begründet, dass ein nicht vollständig beherrschbares Verhalten eines Tieres demjenigen zugeordnet werden soll, der einen „Nutzen“ aus dem Tier zieht.

Haftungskriterium für die Bestimmung der Tierhalterhaftung sei laut BGH die Realisierung einer typischen Tiergefahr. Die Verletzung muss hierfür auf einem „der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbstständigen Verhalten“ beruhen (BGH, Urteil vom 31.05.2016 - VI ZR 465/15). Die verschärfte Haftung wird mit der Konfrontation der Umwelt mit dem Tier begründet, welches aufgrund seiner tierischen Eigenwilligkeit nicht komplett vom Halter kontrolliert werden kann.

Es kommt dabei allerdings nicht darauf an, ob die Verletzung vom Tier verschuldet wurde. Es ist vielmehr ein Mitverschulden ausreichend, wodurch das Tier lediglich zu dem verletzenden Umstand beitragen muss. Selbst eine bloße mittelbare Verursachung kann eine Haftung des Tierhalters begründen. So ist es beispielsweise ausreichend, dass ein Tier auf einer Straße den Weg versperrt und damit einen Unfall auslöst (OLG Saarbrücken 17.1.2006 – 4 U 615/04). Ferner haftet der Tierhalter auch, wenn der Geschädigte sich durch sein eigenes Verhalten verletzt, das Tier jedoch die verletzende Handlung veranlasst hat. Dies ist beispielsweise gegeben, wenn eine Person vor einem Tier flieht und dabei stürzt. Hierbei muss das selbstschädigende Verhalten jedoch im Verhältnis zur Gefahr stehen.

Eigene Verantwortlichkeit durch beispielsweise eine Provokation des Tieres ist im Rahmen eines Mitverschuldens im Sinne des § 254 BGB bei der Bestimmung der Höhe des Schadenersatzes zwar zu berücksichtigen, schließt die Haftung jedoch nicht von vornherein aus. Lediglich unwillkürliches Verhalten, wie beispielsweise das Anstecken eines anderen Tieres mit einer Krankheit, kann nicht unter die Haftung fallen, da es an einem unberechenbaren Verhalten fehlt. So kann die Blumenbestäubung durch die Nachbarsbienen keine Tierhalterhaftung begründen (BGH, Urteil vom 24.01.1992 – V ZR 274/90)).

Eine Ausnahme von der Tierhalterhaftung ergibt sich auch aus § 833 Satz 2 BGB, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, welches dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters dient. Hierunter fallen vor allem „Nutztiere“, wie beispielsweise die Rinder eines Bauers. In diesem Fall kann sich der Tierhalter exkulpieren, also einen Entlastungsbeweis vorlegen, dass ihn am Verhalten des Tieres keine Schuld trifft.

Beispiele weiterer Gefährdungshaftungen

Eine weitere Gefährdungshaftungstatbestand ist in § 7 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) geregelt. Demnach muss der Halter eines Kraftfahrzeuges, der eine Rechtsgutverletzung hervorruft, den daraus entstehenden Schaden ersetzen. Auch hier wird die Haftung an die Betriebsgefahr eines KFZ geknüpft, wonach die Haftung ausschließlich den Halter des Fahrzeuges trifft. Falls Fahrer und Halter voneinander abweichen, ergibt sich die Haftung des Fahrers aus § 18 StVG. Die Gefährdungshaftung wird daran geknüpft, dass durch den Betrieb eines Kraftfahrzeuges eine besondere Gefahrenquelle geschaffen wird, für die Verantwortung übernommen werden muss.

Auch nach § 1 des Produkthaftungsgesetzes (ProdHaftG) trifft den Hersteller eine Schadenersatzpflicht, wenn durch einen Fehler seines Produktes jemand getötet, eine Körperverletzung hervorgerufen oder eine Sache beschäftigt wird. Der Hersteller haftet damit ferner auch, wenn er nicht vorsätzlich oder fahrlässig ein fehlerhaftes Produkt hergestellt hat. § 1 Abs. 2 und 3 ProdHaftG regeln jedoch auch, wann eine Haftung ausgeschlossen ist, wie beispielsweise, wenn der Hersteller aufgrund eines Diebstahls die Ware nicht selbst in den Verkehr gebracht hat, oder der Schaden erst nach dem Inverkehrbringen durch eine unsachgemäße Reparatur entstanden ist.

Verschuldensvermutung mit Exkulpationsmöglichkeit

Das BGB kennt noch andere Rechtsinstitute, bei der ein Verschulden grundsätzlich vermutet wird. Der Unterschied zur Gefährdungshaftung besteht jedoch darin, dass eine Exkulpationsmöglichkeit gewährt wird. Die Vermutung des Verschuldens kann in diesen Fällen widerlegt werden. Die Exkulpationsmöglichkeit des Nutztierinhabers nach § 833 Abs. 2 BGB wurde bereits beschrieben. Eine weitere Möglichkeit sich zu exkulpieren hat der Aufsichtspflichtige nach § 832 Abs. 1 BGB. Dieser haftet für Schäden, die durch eine beaufsichtigte Person entstehen, es sei denn, er hat seine Aufsichtspflichten ausreichend erfüllt. Besonders wichtig ist auch die Haftung für den Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB, wonach der Geschäftsherr grundsätzlich haften muss, außer er kann darlegen, bei der Auswahl der Person, die für ihn tätig wird, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet zu haben. Ähnlich beim Tieraufseher, der die Aufsicht über ein Tier übernimmt. Dieser haftet nicht nach § 834 BGB, wenn er bei der Aufsicht sorgfältig gehandelt hat.

In unserem eingangs beschriebenen Fall war es so, dass sich der Unfall direkt vor der Haustür und vor den Augen der Katzenhalterin abspielte. Diese hatte eine Tierhalterversicherung abgeschlossen, die für die entstandenen Schäden aufkam, sowie ein angemessenes Schmerzensgeld zahlte. Ein langer Rechtsstreit war also nicht nötig. Das Verschulden wurde eindeutig der Halterin zugeordnet.

Passende Beiträge zum Thema: