Egal ob Grippe, Burnout oder eine schwere, langwierige Erkrankung: Wenn Arbeitnehmer:innen* in Deutschland krank werden, sind Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, das volle Gehalt weiterzuzahlen. Unter welchen Voraussetzungen dieser Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht, regelt das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). In der Regel muss der Arbeitnehmer eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen. Welchen Beweiswert diese Bescheinigung hat und unter welchen Umständen der Arbeitgeber sie widerlegen kann, hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern im Urteil vom 21.03.2023 entschieden (Az. 2 Sa 156/22).

Sachverhalt

Im vorliegenden Fall stritt sich ein Arbeitnehmer mit seinem Arbeitgeber über die Entgeltfortzahlung nach der Kündigung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses. Der Arbeitnehmer hatte das Arbeitsverhältnis am 29.10.2021 zum 30.11.2021 gekündigt und u.a. die Zusendung eines Arbeitszeugnisses und der Arbeitspapiere verlangt. Für den Zeitraum vom 03.11.2021 bis einschließlich 30.11.2021 legte der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seiner Ärztin vor, wonach er nicht in der Lage gewesen sei, bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses weiterzuarbeiten.

Der Arbeitgeber weigerte sich, den Arbeitnehmer für diesen Zeitraum weiter zu bezahlen. Die tatsächlichen Umstände würden erhebliche Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründen. Der Arbeitnehmer beantragte die Zusendung der Arbeitspapiere an seine Meldeadresse in einer anderen Stadt als der des Arbeitsplatzes und bei der Öffnung des Spindes des Arbeitnehmers seien keine persönlichen Gegenstände gefunden worden. Beides spreche dafür, dass der Arbeitnehmer bereits am letzten Arbeitstag bzw. zum Zeitpunkt der Kündigung davon ausgegangen sei, nicht mehr an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren. Zudem decke die vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genau den Zeitraum der Kündigungsfrist ab.

Mit seiner Klage hat der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber die nicht geleistete Entgeltfortzahlung für den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gefordert.

Bisheriger Prozessverlauf

Das Arbeitsgericht Schwerin hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger Entgeltfortzahlung zu leisten (Urteil v. 16.08.2022, 6 Ca 1267/21). Der Kläger habe seine Arbeitsunfähigkeit durch entsprechende ärztliche Bescheinigung nachgewiesen. Die hiergegen von der Beklagten erhobenen Einwände griffen nicht durch. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt.

Die Entscheidung des LAG

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts gemäß §§ 3 Abs. 1 Satz 1, 4 EFZG. Die danach erforderlichen Voraussetzungen, insbesondere die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, liegen vor. Hinreichende Zweifel am Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bestehen nicht.

Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung als wichtigstes Beweismittel für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG haben Arbeitnehmer im Krankheitsfall Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber bis zu einer Dauer von sechs Wochen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen trägt der Arbeitnehmer. Der Nachweis der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit erfolgt in der Regel durch Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG. Diese Bescheinigung ist das vom Gesetz ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG genügt die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung, um das Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers auszuschließen.

Tatsächliche Umstände, die Zweifel an der Erkrankung begründen, können den Krankheitsbeweis widerlegen

Der Arbeitgeber kann den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern, indem er tatsächliche Umstände darlegt, die die Erkrankung des Arbeitnehmers infrage stellen. Dabei könne es nicht auf eine subjektive Betrachtungsweise ankommen. Vielmehr müssen aus der Sicht eines verständigen Arbeitgebers objektiv greifbare Tatsachen vorliegen, die geeignet sind, ernsthafte Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu begründen. Dagegen reichen lediglich objektiv mehrdeutige, plausibel erklärbare Tatsachen, grundsätzlich nicht für solche ernsthaften Zweifel aus (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 08.02.2023 – 3 Sa 135/22).

Möchte ein Arbeitgeber die Mitnahme privater Gegenstände aus dem Betrieb zum Beweis dafür heranziehen, dass ein Arbeitnehmer nicht mehr in den Betrieb habe zurückkehren wollen, müsse er die privaten Gegenstände benennen, die der Arbeitnehmer im Betrieb aufbewahrt und sodann mitgenommen hat. Die pauschale Behauptung, es befänden sich keine privaten Gegenstände des Arbeitnehmers im Betrieb, sei nicht geeignet, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zu erschüttern.

Anwendung der Grundsätze auf den vorliegenden Fall

Im vorliegenden Fall habe der Kläger durch die Vorlage der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen ausreichenden Beweis erbracht. Die vom Arbeitgeber geäußerten Zweifel seien nicht geeignet, den Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern. Zwar könne eine Krankschreibung, die passgenau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Kündigung abdeckt, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 08.02.2023 – 3 Sa 135/22). Eine solche Passgenauigkeit sei hier aber gerade nicht gegeben. So habe der Arbeitnehmer nach seiner Kündigungserklärung noch bis zum 03.11.2021 weitergearbeitet.

Auch der Umstand, dass der Arbeitnehmer die Zusendung der Arbeitspapiere an seine Meldeadresse in einer anderen Stadt verlangt habe, sei kein Indiz, das gegen eine Arbeitsunfähigkeit spreche. Vielmehr sei dies plausibel, da der Arbeitnehmer nicht habe wissen können, wann sein Arbeitgeber ihm die Arbeitspapiere zusenden werde und ob zu diesem Zeitpunkt noch seine Adresse in der Stadt seiner Arbeitsstätte bestehen würde.

Schließlich sei nicht ersichtlich, welche privaten Gegenstände der Arbeitnehmer im Betrieb hätte aufbewahren und sodann mitnehmen sollen. Die pauschale Behauptung des Arbeitgebers sei mangels näherer Konkretisierung nicht geeignet, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern.

Fazit

Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt somit aufgrund der normativen Vorgaben des Entgeltfortzahlungsgesetzes ein hoher Beweiswert zu. Misstraut der Arbeitgeber der ärztlichen Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit und will er den Beweis der Bescheinigung widerlegen, muss er konkrete objektive Umstände des Einzelfalls darlegen, die ernsthafte Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers begründen.

*Verwenden wir zukünftig das generische Femininum oder das generische Maskulinum bezieht das immer sämtliche Geschlechter mit ein und dient ausschließlich der besseren Lesbarkeit.