Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Leistungen aus einem virtuellen Aktienoptionsprogramm in die Berechnung der Karenzentschädigung nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses einzubeziehen sind, sofern die Optionen noch während des Arbeitsverhältnisses ausgeübt wurden. Ausübungen nach dem Ausscheiden finden hingegen keine Berücksichtigung.
Sachverhalt
Der Kläger war seit dem 1.10.2019 bei der Beklagten, die eine Online-Plattform für Ferienunterkünfte betreibt, als Finanzdirektor beschäftigt. Der Arbeitsvertrag enthielt ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot gemäß § 110 Gewerbeordnung (GewO) in Verbindung mit §§ 74 ff. Handelsgesetzbuch (HGB), welches ihm untersagte, nach dem Ausscheiden bei der Konkurrenz zu arbeiten und wofür ihm auch eine Karenzentschädigung zugesagt wurde.
Laut § 74 HGB ist ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nur wirksam, wenn es schriftlich vereinbart wurde und die Arbeitgeberin/der Arbeitgeber* dem Arbeitnehmer dafür eine sogenannte Karenzentschädigung zahlt. Diese muss mindestens 50% der letzten vertragsmäßigen Vergütung betragen. Das Wettbewerbsverbot darf maximal zwei Jahre gelten. Fehlen die Entschädigung oder die Schriftform, ist das Verbot unwirksam. Ziel der Vorschrift ist ein fairer Ausgleich zwischen dem Schutzinteresse der Arbeitgeberin und der Berufsfreiheit der Arbeitnehmerin.
Während seiner Beschäftigung in der Firma wurden dem Kläger sogenannte virtuelle Aktienoptionen, sog. Virtual Shares, zugeteilt. Dadurch wurde ihm kein Anspruch auf den Bezug echter Aktien verliehen, sondern auf Geldzahlungen, die an bestimmte Bedingungen geknüpft waren. Die Geltendmachung der Optionsrechte musste sich der Kläger durch Arbeitsleistung während einer sogenannten Vesting Period über einen Zeitraum von bis zu vier Jahren verdienen. Eine Ausübung der Option war dann wiederum nur möglich, wenn ein sogenanntes Auslöseereignis wie ein Unternehmensverkauf oder Börsengang eintrat. Im September 2021 trat ein solches Ereignis ein. Daraufhin übte der Kläger seine Optionsrechte aus und erhielt eine Auszahlung in Höhe von 161.394,79 Euro. Anschließend endete das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2022 durch Aufhebungsvertrag. Nach seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen übte der Kläger weitere Optionsrechte aus, für die er im Oktober 2022 eine weitere Auszahlung in Höhe von 17.706,32 Euro brutto erhielt.
Der Kläger verlangte dann, dass in die Berechnung der vertraglich vereinbarten Karenzentschädigung sämtliche Zahlungen aus den Aktienoptionen, also auch die nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses erhaltenen, miteinbezogen werden.
Bisheriger Verfahrensverlauf
Das Arbeitsgericht, das als erstinstanzliches Gericht zuständig war, wies die Klage dahingehend ab, dass der Kläger die Berücksichtigung der nachvertraglich erhaltenen Optionszahlungen verlangte. Das Gericht erkannte lediglich die während des Arbeitsverhältnisses ausgeübten und vergüteten Optionsrechte als relevant für die Karenzentschädigung an. Sowohl der Kläger als auch der Arbeitgeber legten gegen diese Entscheidung Berufung ein. Auch in der Berufungsinstanz blieb der Kläger erfolglos. Das zuständige Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung und stellte klar, dass nur solche Leistungen als vertragsgemäße Vergütung zählen, die dem Kläger während des Arbeitsverhältnisses tatsächlich zugeflossen sind.
Die Definition dessen, was noch als vertragsmäßige Vergütung anzusehen ist, ist deshalb relevant, weil die Karenzentschädigung gemäß § 74 HGB mindestens 50% der vertragsmäßigen Vergütung betragen muss. Folglich müsste die Entschädigung höher ausfallen, wenn auch die Optionszahlungen nach Ende des Arbeitsverhältnisses noch mitgerechnet werden würden.
Kläger und Beklagte legten Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) ein. Der Kläger wollte eine höhere Entschädigung, die Beklagte wollte hingegen erreichen, dass die Optionszahlungen nicht bei der Berechnung der Karenzentschädigung außen vor bleiben, um keine zusätzlichen Zahlungen leisten zu müssen.
Entscheidung des BAG
Auch das BAG bestätigte die Vorinstanzen und wies beide Revisionen zurück. Leistungen, die nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgezahlt werden, seien nicht in die Berechnung der Karenzentschädigung einzubeziehen. Die zentrale Frage war: Was gehört zur zuletzt bezogenen vertragsgemäßen Vergütung, die bei der Berechnung der Karenzentschädigung nach § 74 Absatz 2 HGB zugrunde zu legen ist?
Das BAG bestätigte, dass auch Leistungen aus einem virtuellen Aktienprogramm zu den vertragsgemäßen Leistungen zählen, aber nur dann, wenn diese während des laufenden Arbeitsverhältnisses ausgeübt werden.
Das BAG begründete diese Entscheidung zunächst mit dem Begriff der „vertragsgemäßen Leistungen“. Alles, was der Arbeitnehmer als Gegenleistung für seine Arbeit erhält, sei vertragsgemäße Vergütung, auch Sonderleistungen, wie Boni, Tantiemen oder Aktienoptionen. Maßgeblich sei nicht, ob die Leistung ausdrücklich im Arbeitsvertrag geregelt ist, sondern ob sie aus dem Arbeitsverhältnis herrührt. Zudem seien virtuelle Aktienoptionen auch als Vergütung anzusehen. Die virtuelle Beteiligung diente nämlich der Mitarbeiterbindung und wurde in Abhängigkeit vom Verbleib im Unternehmen über eine sogenannte Vesting Period verdient. Die Optionen konnten nur ausgeübt werden, wenn der Arbeitnehmer in einem vergütungspflichtigen aktiven Arbeitsverhältnis stand. Diese Umstände sprächen laut BAG für einen Vergütungscharakter - auch wenn der Optionsvertrag dies anders darstellt. Dort wurden die Optionen nämlich ausdrücklich nicht als Gegenleistung für bereits erbrachte Arbeitsleistungen bezeichnet. Somit sollte wohl vermieden werden, dass die Zuteilung der Optionen als klassischer Vergütungsbestandteil interpretiert wird, etwa um Pflichten, wie Sozialabgaben, Steuern oder Karenzentschädigungen zu umgehen. Das BAG stellt mit seiner Entscheidung jedoch klar, dass nicht die rein formale Bezeichnung im Vertrag maßgeblich sei, sondern der wirtschaftliche Gehalt der Leistung.
Es war dem BAG jedoch wichtig eine Grenze zu ziehen und deutlich zu machen, dass der Vergütungscharakter nur bei bereits ausgeübten Aktienoptionen anzunehmen sei. Optionen, die zwar bereits verdient, aber erst nach Ende des Arbeitsverhältnisses ausgeübt wurden, zählten nicht zur Berechnungsgrundlage für die Karenzentschädigung. Maßgeblich sei der tatsächliche Einkommensstand zum Zeitpunkt des Ausscheidens, nicht hypothetische künftige Zahlungen. Die Karenzentschädigung sei dafür da, den Lebensstandard abzusichern, den der Arbeitnehmer während des aktiven Arbeitsverhältnisses hatte. Optionen, die erst später ausgeübt werden, beeinflussten diesen Lebensstandard nicht zum Zeitpunkt des Ausscheidens.
Für die konkrete Berechnung der Karenzentschädigung stellte das BAG weiterhin klar, dass die Einkünfte aus der Aktienbeteiligung als „wechselnde Bezüge“ im Sinne des § 74 Absatz 2 HGB gelten und dementsprechend über die letzten drei Jahre des Arbeitsverhältnisses ein durchschnittliches zusätzliches monatliches Einkommen aus den Optionsgewinnen berechnet werden müsste. Das BAG stellte klar, dass es für den Anspruch nicht darauf ankommt, ob der Arbeitnehmer auch in Zukunft noch mit solchen Zahlungen hätte rechnen können. Es zähle allein, was bis zum Ausscheiden tatsächlich zugeflossen ist. Dadurch, dass die Auszahlung der Optionsrechte teilweise erst nach dem Ausscheiden des Klägers erfolgte, fehle der zeitliche und wirtschaftliche Zusammenhang zur laufenden Vergütung im Arbeitsverhältnis.
Darüber hinaus gab das BAG auch noch eine rechtliche Klarstellung zur Konzernstruktur der Beklagten ab. Diese hatte nämlich argumentiert, die Zahlungen aus den Aktienoptionen seien von der Muttergesellschaft erfolgt und ihr daher nicht zuzurechnen. Dieses Argument wies das BAG zurück und stellte klar, dass die Beklagte selbst vertraglich zugesichert hatte, für die Optionen zu haften und auch eine spätere Übernahme der Verpflichtung durch die Konzernmutter ändere nichts.
Fazit
Das BAG setzt mit dieser Entscheidung einen bedeutenden Meilenstein im Arbeitsrecht. Erstmals befasst sich das Gericht in dieser Deutlichkeit mit der Frage, ob virtuelle Aktienoptionen bei der Berechnung von Karenzentschädigungen zu berücksichtigen sind und und bejaht diese Einbeziehung – unter klaren Voraussetzungen. Entscheidend ist, dass die Optionen bereits im bestehenden Arbeitsverhältnis ausgeübt wurden. Diese Entscheidung hat nicht nur für betroffene Arbeitnehmer weitreichende Folgen, sondern auch für Unternehmen. Diese müssen zukünftig damit rechnen, dass Mitarbeiterbeteiligungsprogramme die finanziellen Folgen eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots deutlich erhöhen können. Das Urteil bringt somit Klarheit für ein bisher kaum beleuchtetes Detail und setzt neue Maßstäbe im Umgang mit modernen Vergütungsformen wie virtuellen Aktienoptionen.
*Verwenden wir in Zukunft wegen der besseren Lesbarkeit ausschließlich das generische Femininum oder das generische Maskulinum, sind hiervon ausdrücklich sämtliche Geschlechter umfasst.