Ob eine selbstständige Tätigkeit oder abhängige, arbeitsrechtliche Beschäftigung vorliegt, hat weitreichende Auswirkungen auf die Sozialversicherungspflichten. Wurde ein Dienstleistungsvertrag geschlossen und somit von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen, liegt aber tatsächlich ein Arbeitsverhältnis vor, spricht man von Scheinselbstständigkeit. Diese führt zu schwerwiegenden Konsequenzen, insbesondere für den tatsächlichen Arbeitgeber und seine Beitragspflichten. In dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall ging es um die Anwendbarkeit der anerkannten Abgrenzungskriterien auch auf eine bei einer staatlichen Musikschule beschäftigte Klavierlehrerin.

Sachverhalt

Die Stadt Herrenberg ist Trägerin einer Musikschule, bei der die betroffene Klavierlehrerin zunächst auf Grundlage einer unbefristeten Vereinbarung über eine „freiberufliche Unterrichtstätigkeit“ unterrichtete. Später wurden weitere, jeweils befristete, Honorarverträge geschlossen, welche grundsätzlich folgende Regelungen beinhalteten:

  • Die Lehrerin erhielt ein Honorar für geleistete Unterrichtsstunden ebenso wie bei einem Ausfall des Unterrichts, den die Schüler zu vertreten hatten.
  • War die Lehrerin selbst verhindert (z.B. erkrankt), sodass der Unterricht ausfallen musste, konnte sie die Stunden in Absprache mit der Schulleitung nachholen.
  • Der Unterricht musste in den Räumlichkeiten und unter Verwendung der dort befindlichen Instrumente der Schule erteilt werden und auf Grundlage der Rahmenlehrpläne des Verbandes deutscher Musikschulen.
  • Die Schule erstellte einen Stundenplan, an dessen zeitlichen Vorgaben sich die Lehrerin orientieren musste.
  • Sie sollte Einkommenssteuer abführen und Beiträge für Krankenversicherung und Altersvorsorge selbst tragen.

Die Deutsche Rentenversicherung hatte auf Antrag der Lehrerin festgestellt, dass es sich hierbei um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis handele (Arbeitsverhältnis), das der Sozialversicherungspflicht unterliege.

Die Stadt als Trägerin der Musikschule klagte nach erfolgloser Einlegung eines Widerspruchs nun gegen diese Feststellung, zunächst vor dem Sozialgericht Stuttgart. Das Gericht wies die Klage mit Verweis auf die Weisungsabhängigkeit der Lehrerin ab. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg entschied im Berufungsverfahren gegenteilig und stellte fest, dass keine Sozialversicherungspflicht bestehe. Hierbei stellte es zunächst auf den Inhalt der Vereinbarung und in einem zweiten Schritt auf besondere Umstände für eine davon abweichende Beurteilung ab. Die Parteien hätten ein selbstständiges Dienstverhältnis vereinbart und umgesetzt. Die Lehrerin habe den Weisungen der Musikschule nicht unterlegen, da es sich bei den zeitlichen und örtlichen Vorgaben nur um Rahmenbedingungen gehandelt habe.

Gegen diese Entscheidung des LSG ging nun die Lehrerein mit einer Revision vor dem Bundessozialgericht (BSG) vor: Sie habe bezüglich Art, Ort und Inhalt des Unterrichts den Weisungen der Schule unterlegen und sei in die Organisationsabläufe und Betriebsstruktur eingegliedert gewesen. Trotz pädagogischer Freiheit bei der Unterrichtserteilung habe sie sich an die Lehrpläne halten müssen, die Schüler seien ihr zugewiesen und sie sei für Unterricht eingeteilt worden, sie habe für die Vorbereitung der Schüler auf gemeinsames Musizieren arbeitsteilig mit anderen Lehrkräften zusammengearbeitet.

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts

Das Bundessozialgericht gab der Lehrerin recht und erklärte die Feststellung der Rentenversicherung für rechtmäßig. Die Lehrerin habe wegen der Weisungsgebundenheit und Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Musikschule der Sozialversicherungspflicht unterlegen.

Ob jemand beschäftigt oder selbstständig tätig sei, richte sich nach den das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägenden Umständen und hänge davon ab, welche Merkmale überwiegen. Eine abhängige Beschäftigung liege bei einer Eingliederung in den Betrieb und einer Bindung an das Weisungsrecht des Arbeitgebers über Zeit, Dauer, Ort und Art der Leistung vor, während eine selbstständige Tätigkeit ein eigenes Unternehmerrisiko, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die freie Gestaltung der Tätigkeit und Arbeitszeit voraussetze. Grundsätzlich komme es bei der Zuordnung auf den Inhalt des Vertrages an, wobei die Parteien wegen des besonderen Schutzzwecks der Sozialversicherung aber nicht allein durch eine entsprechende Vereinbarung eine bindende Zuordnung zu einer Tätigkeitsform vornehmen könnten. Vielmehr richte sich die Einordnung nach der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses.

Diese Kriterien gälten genauso auch für Tätigkeiten im Bereich Musik, wie die von Musikschullehrern, auch wenn grundsätzlich die in Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz geschützte Kunstfreiheit anwendbar sei. Das Sozialversicherungsrecht greife weder in die Kunstfreiheit der Mitarbeiter noch in die der Auftraggeber ein. Die Regelung zur Versicherungspflicht selbstständiger Lehrer in § 2 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch VI mache zudem deutlich, dass auch Lehrer einer selbstständigen Tätigkeit nachgehen könnten, sodass auch hier die Abgrenzungskriterien anwendbar seien.

Dass die Parteien im vorliegenden Fall vertraglich durch mehrere Regelungen eine selbstständige Tätigkeit der Klavierlehrerin hätten vereinbaren wollen, sei nicht allein ausschlaggebend. Vielmehr sei sie entgegen diesen Vereinbarungen einem Weisungsrecht der Musikschule unterworfen und in deren Organisationsabläufe eingegliedert gewesen. Beide Maßstäbe müssten kumulativ, also zusammen, vorliegen. Eine Eingliederung sei nicht immer auch mit einem Weisungsrecht verbunden, insbesondere bei Dienstleistungen „höherer Art“ (vor allem freie Berufe, auch Künstler und Lehrer) bestehe zwar weitgehende fachliche Weisungsfreiheit, aber eine Fremdbestimmtheit könne aus der Ordnung des Betriebes folgen.

Fazit

Nach der ersten Entscheidung des BSG zu Musikschullehrern (Urteil vom 14.03.2018, B 12 R 3/17 R), in der von der selbstständigen Tätigkeit eines Gitarrenlehrers ausgegangen wurde, führen mit diesem Urteil eine andere Gewichtung der Bewertungskriterien und - laut dem Urteil selbst - ein verschiedener Sachverhalt zu einer anderen Einordnung. Letztendlich wird es auch in Zukunft hauptsächlich auf die Kriterien der Eingliederung in die Organisation und der Weisungsgebundenheit ankommen, wobei die tatsächliche Ausgestaltung der Tätigkeit der vertraglichen Vereinbarung vorgeht.