Am 27.01.2022 äußerte sich der BGH zur Frage, ob eine Internetplattform verlangen kann, dass seine Nutzer lediglich mit ihren echten Namen, also den sog. Klarnamen, einen Account eröffnen dürfen. Viele Netzwerke forderten von ihren Nutzern die Verwendung ihres Klarnamens auch gegenüber anderen Nutzern. Gegen diese Pflicht wehrten sich zwei Kläger, da sie weiterhin das Netzwerk nutzen wollten, aber nur unter Verwendung eines Pseudonyms.

Der Sachverhalt

Beide Kläger haben jeweils Nutzerkonten bei Facebook eröffnet. In den Nutzungsbedingungen des Unternehmens wird die Pflicht bestimmt, für die Anmeldung und Nutzung des Netzwerks wahre Namen und Daten verwenden zu müssen, oder zumindest den Namen, den sie auch im täglichen Leben verwenden. Man spricht auch von einer sogenannten Klarnamenpflicht. Die Kläger verwendeten jedoch beide bei der Anmeldung Fantasienamen.

Im Verfahren III ZR 3/21 wurde das Konto des Klägers gesperrt, nachdem dieser auf Nachfrage seinen Namen nicht als seinen „Alltagsnamen“ bestätigt hatte. Erst nach Änderung seines Profilnamens gab Facebook den Zugang zum Konto wieder frei. Aus diesem Grund fordert der Kläger von der Beklagten „Unterlassen der Änderung seines von ihm im Netzwerk verwendeten Profilnamen“.

Im anderen Verfahren III ZR 4/21 wurde das Konto der Klägerin nach Weigerung der Änderung des Profilnamens gesperrt. Nun fordert die Klägerin das Unternehmen auf, die Sperrung ihres Kontos aufzuheben.

In beiden Verfahren wird geltend gemacht, dass die Nutzungsbedingungen durch die Verpflichtung zur Verwendung des Klarnamens gegen § 13 Abs. 6 Satz 1 des Telemediengesetzes (TMG) und gegen datenschutzrechtliche Vorschriften verstoßen würden.

Der Bundesgerichtshof (BGH) gab den beiden Kläger recht. Die Klausel der Nutzungsbedingungen von April 2018, welche zur Verwendung des Klarnamens als Nutzernamen verpflichtete, sei laut BGH unwirksam. Vielmehr würde die Klausel die Nutzer entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Zudem hält die Klausel laut BGH auch einer AGB Kontrolle gemäß §§ 307 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht stand.

Zwar müsste im Innenverhältnis, also Nutzer und Plattformanbieter der Klarname verwendet werden, da es diesen nicht zumutbar ist, den Namen des Nutzers nicht zu kennen.

Im Außenverhältnis hingegen braucht es diese Kenntnis nicht und die Plattformen müssen die Verwendung eines Pseudonyms gegenüber anderen Nutzern hinnehmen. Noch einmal genauer: Bei Abschluss des Nutzerprofils bei Facebook muss der Nutzer seinen richtigen Namen angeben. Bei der Nutzung der Dienste kann er aber einen frei gewählten Namen verwenden. Das Teilen, Liken, Kommentieren, Verlinken und Co. kann dann auch unter dem gewählten Pseudonym erfolgen.

Schutzraum für freie Meinungsäußerung

Besonders in einer Zeit, in der immer mehr Meinungen auf sozialen Medien geteilt werden, müsse es dem Nutzer auch möglich sein, einen anderen Namen zu verwenden. Vor allem um seine Meinung entweder anonym äußern zu können oder sich vor möglichen negativen Kommentaren zu schützen. Gerade im Hinblick darauf, dass die Kommunikation im Internet zum einen weltweit erfolgen kann und zum anderen auch unbegrenzt aufrufbar ist, muss im Sinne der Meinungsfreiheit eine anonymisierte Nutzung möglich sein. Besonders auch, da ein Anstieg der Aggressivität beim Auftreten gegenüber Nutzern mit anderen Meinungen zu sehen ist. Vielmehr könne so ein „Schutzraum für die freie Meinungsausübung“ geschaffen werden, der vor allem auch von Minderheiten, Verfolgten oder Whistleblowern genutzt werden könne.

Der BGH unterstreicht zwar auch die Bedeutung der Reduzierung von persönlichkeitsrechtverletzenden und strafbaren Äußerungen. Eine Klarnamenpflicht könnte zwar dazu beitragen die Hemmschwelle für Mobbing und Hassrede zu erhöhen. Auch erkennt er die Funktion einer Kommunikationsplattform an, ein „angemessenes Disskusionsniveau zu gewährleisten“. Jedoch könnten diese Aspekte nicht die Klägerinteressen überwiegen. Vielmehr würde dem Hemmungsinteresse genug Rechnung getragen werden, da eine Klarnamenpflicht im Innenverhältnis vorliegt und damit auch die Möglichkeit der Identitätsüberprüfunggegeben ist.

Urteil gilt nur bei einer Accounteröffnung vor Mai 2018

Wichtig ist, dass sich dieses Urteil nur auf alle Accounts bezieht, die vor Mai 2018 abgeschlossen wurden. Bis dahin galt nämlich ausschließlich das deutsche Telemediengesetz (TMG), das Plattformen dazu verpflichtete, eine Nutzung entweder anonym oder unter Pseudonym zu ermöglichen, soweit dies technisch möglich und zumutbar ist. Jedoch gilt seit Mai 2018 das europäische Datenschutzrecht in Form der Datenschutz-Grundverordnung, welche keine Regelung bezüglich einer anonymen Nutzung von sozialen Netzwerken enthält. Die Konten wurden vor Geltung der Datenschutz-Grundverordnung eröffnet, wodurch die alte Gesetzeslage als Grundlage für die Entscheidung herangezogen wurde.

Es ist daher ungewiss, welcher Einfluss die Entscheidung auf später erstellte Konten hat. Eine Klarstellung würde unter die Kompetenz des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) fallen.

Da das Urteil des BGH nur auf Altfälle Anwendung findet, gilt es mit Spannung zu verfolgen, wie den Gerichten das der Spagat zwischen dem hohen Rechtsgut der Anonymität im Internet und der Reduzierung von von strafbaren und rechtsverletzenden Äußerungen im Netz gelingen wird.


* Verwenden wir aus Gründen der besseren Lesbarkeit in Zukunft das generische Maskulinum oder das generische Femininum, sind ausdrücklich immer sämtliche Geschlechter gemeint und einbezogen.