Das Hessische Landesarbeitsgericht hat die Kündigung eines ehemaligen Geschäftsführers für unwirksam erklärt. Das Gericht entschied, dass der volle Kündigungsschutz auch für ehemalige Geschäftsführerinnen/Geschäftsführer gilt, wenn sie zum Zeitpunkt der Kündigung keine Organstellung in der Gesellschaft mehr innehaben. Da die Arbeitgeberin zusätzlich keinen sozialen Kündigungsgrund vorgetragen hatte, konnte die Kündigung rechtlich nicht bestehen.

Was war geschehen?

Der Kläger war seit dem 1. April 2021 bei der beklagten GmbH als „Vice President for A“ beschäftigt. Zwar wurde er zum Geschäftsführer bestellt, doch der Arbeitsvertrag räumte der Gesellschaft ausdrücklich das Recht ein, ihn jederzeit in einer anderen, gleichwertigen Funktion einzusetzen. Ein Anspruch auf eine dauerhafte Geschäftsführerposition bestand also nicht.

Im November 2022 teilte die Beklagte dem Kläger seine Abberufung als Geschäftsführer mit. Ab Dezember 2022 erledigte er keine Leitungsaufgaben mehr und tauchte intern lediglich als „Special Project Manager“ auf, ohne tatsächlich Aufgaben innezuhaben. Im Februar 2023 wurde seine Geschäftsführerstellung auch im Handelsregister gelöscht. In den Monaten danach suchte die Firma erfolglos nach einer neuen, passenden Stelle für ihn. Da diese Suche erfolglos blieb, kündigte die Firma dem Kläger schließlich am 28. Juni 2023 zum 31. Dezember 2023.

Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage . Er argumentierte, dass er zum Kündigungszeitpunkt kein Geschäftsführer mehr war und sein Arbeitsvertrag, der auch andere Einsätze erlaubte, deshalb unter den vollen Kündigungsschutz falle, welcher unter anderem eine soziale Rechtfertigung der Kündigung erfordere.

Die Beklagte hielt dagegen, dass der Vertrag allein die Geschäftsführerfunktion betraf und sie die Kündigung wirksam erklären durfte, da der Kündigungsschutz gemäß § 14 Absatz 1 Nr. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) für Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer nicht gelte.

Die zentrale Rechtsfrage lautete demzufolge, ob der allgemeine Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz (§ 1 KSchG) auch für eine ehemalige Geschäftsführerin/ einen ehemaligen Geschäftsführer* gilt, wenn dieser bei Zugang der Kündigung bereits aus seiner Organstellung abberufen wurde. Unter Organstellung versteht man die formelle Funktion einer Person als gesetzlicher Vertreter einer juristischen Person. Bei einer GmbH, wie im vorliegenden Fall, ist das vor allem der Geschäftsführer. Sobald jemand die Organstellung innehat, gilt er nicht als normaler Arbeitnehmer, sondern steht rechtlich auf der „Arbeitgeberseite“. Deshalb greifen viele arbeitsrechtliche Schutzvorschriften nicht. Nach § 14 Absatz 1 Nr. 1 KSchG sind Personen, die zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen sind, vom gesetzlichen Kündigungsschutz ausgeschlossen. Umstritten ist jedoch, ob dieser Ausschluss weiterhin gilt, wenn die Geschäftsführertätigkeit bereits beendet ist, das zugrundeliegende Vertragsverhältnis aber fortbesteht.

Der Zug durch die Gerichtsinstanzen

Das Arbeitsgericht Darmstadt (ArbG), das in erster Instanz über den Fall entschied, bejahte die Anwendung der Ausnahmeregel des § 14 KSchG auch nach der Abberufung als Geschäftsführer. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Kündigung sich auf das frühere Geschäftsführer-Anstellungsverhältnis beziehe. Somit stimmte das ArbG in weiten Teilen der Argumentation der Beklagten zu. Das Gericht sah es als unerheblich an, dass der Kläger bereits Monate vor der Kündigung als Geschäftsführer abberufen worden war. Laut dem ArbG sei allein entscheidend, dass die Kündigung das ursprünglich geschlossene Vertragsverhältnis betreffe, das zur Organstellung geführt habe. Ob diese Stellung zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs noch bestanden habe, sei für die Anwendung des § 14 KSchG unerheblich. Auch den Zeitabstand zwischen Abberufung und Kündigung sah das ArbG nicht als entscheidend an. Das Gericht stellte lediglich fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht zum 31.12.2023, sondern erst zum 31.01.2024 endete, da die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist gegen § 622 Absatz 2 BGB verstieß. In diesem sind Kündigungsfristen je nach Beschäftigungsdauer festgeschrieben. Der Kläger ging gegen diese Entscheidung in Berufung.

Die Entscheidung des LAG Hessen

Entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung vertrat das Landesarbeitsgericht (LAG) Hessen die Auffassung, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung kein Organ mehr war und sprach ihm vollen Kündigungsschutz zu. Die gesetzliche Ausnahme des § 14 Absatz 1 Nr. 1 KSchG gelte demnach nicht, wenn die Organstellung des Arbeitnehmers zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung nicht mehr bestehe. Dies sei auch mit dem Sinn und Zweck der Norm vereinbar, da diese nur Organvertreter, die noch Arbeitgeberfunktionen ausüben, vom Kündigungsschutz ausnehmen solle. Aus Sicht des Gerichts spreche zudem die Tatsache gegen den Ausschluss des Kündigungsschutzes, dass der Anstellungsvertrag des Klägers ausdrücklich vorsehe, dass die Tätigkeit als Geschäftsführer nicht garantiert sei und die Beklagte sich das Recht vorhalte, ihn auch in andere Positionen einzusetzen. Das Vertragsverhältnis sei demnach nicht untrennbar mit der Organfunktion verbunden, weshalb § 14 Absatz 1 Nr. 1 KSchG im konkreten Fall nicht anwendbar sei. Da das KSchG anwendbar ist, hätte die Beklagte, um die Kündigung wirksam auszusprechen, einen sozial gerechtfertigten Kündigungsgrund nach § 1 Absatz 2 KSchG vortragen müssen. Dies hat sie jedoch nicht getan; stattdessen ging sie davon aus, keine Gründe vortragen zu müssen. Dementspreced erklärte das LAG die Kündigung für unwirksam. Das Gericht lehnt zudem die Auffassung ab, dass es allein auf das ursprüngliche Vertragsverhältnis ankomme. Ausschlaggebend sei ausschließlich die Situation zum Kündigungszeitpunkt. Die Vertretungsbefugnis für die GmbH, die für die Anwendung des § 14 Absatz 1 Nr. 1 KSchG notwendig ist, habe der Kläger bereits Monate vor der Kündigung verloren. Die Kündigung ist demnach unwirksam und das Arbeitsverhältnis kann nur unter Einhaltung der normalen Regeln des KSchG beendet werden. Unter anderem hätte die Kündigung einer sozialen Rechtfertigung bedurft und die Form- und Fristvorschriften hätten eingehalten werden müssen.

*Verwenden wir in Zukunft wegen der besseren Lesbarkeit ausschließlich das generische Femininum oder das generische Maskulinum, sind hiervon ausdrücklich sämtliche Geschlechter mitumfasst.