Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hannover hat die außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers wegen negativer Äußerungen in einer WhatsApp-Gruppe mit Arbeitskollegen für unwirksam erklärt (Urteil vom 19.12.2022, Az. 15 Sa 286/22).

Sachverhalt

Im vorliegenden Fall wehrte sich ein Arbeitnehmer (Kläger) mit seiner Kündigungsschutzklage gegen die außerordentliche fristlose Kündigung seines Arbeitgebers (Beklagter). Der Kläger war seit dem Jahr 2000 bei der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen, beschäftigt, zuletzt als Gruppenleiter Technische Logistik.

Seit 2014 war der Kläger Mitglied einer WhatsApp-Gruppe, in der er mit sechs Arbeitskollegen regelmäßig Nachrichten austauschte. Die Mitglieder der Gruppe waren untereinander langjährig befreundet, einige sogar verwandt. In dieser Gruppe äußerte der Kläger beispielsweise, dass er den „Drecksladen“ hasse, forderte auf, „einzustecken, was geht“ und dass „die Covidioten (...) vergast werden sollten".

Ein Arbeitskollege des Klägers besorgte sich eine Kopie des Chatverlaufs und leitete sie an den Arbeitgeber weiter. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage. Der Kläger ist der Ansicht, der Inhalt des Chatverlaufs dürfe nicht verwertet werden, da es sich um einen rein privaten Austausch gehandelt habe. Die außerordentliche Kündigung sei unwirksam.

Der bisherige Prozessverlauf

Das Arbeitsgericht Hannover hat der Klage des Klägers auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung stattgegeben (Urteil vom 24.02.2022 - 10 Ca 148/21). Zwar sei der Inhalt der Chatprotokolle im Rechtsstreit verwertbar. Die Äußerungen des Klägers rechtfertigten die Kündigung jedoch nicht, da sie in einem privaten Chat gefallen seien und im Hinblick auf die Vertraulichkeit der Kommunikation besonderen Schutz genössen. Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Entscheidung des LAG Niedersachsen

Mit Urteil vom 19.12.2022 wies das LAG Niedersachsen die Berufung als unbegründet zurück, soweit sie sich gegen die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung richtete. Zwar habe der Arbeitgeber den Inhalt der Chatprotokolle verwerten dürfen, da diese keinem Beweisverwertungsverbot unterlägen. Die Äußerungen stellten jedoch keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar.

Kein Beweisverwertungsverbot für Chatprotokolle

Der Inhalt der Chatprotokolle unterliegt weder einem Sachvortrags- noch einem Beweisverwertungsverbot. Die Erlangung und Weitergabe des Chatverlaufs durch den Arbeitskollegen des Klägers mag zwar rechtswidrig in dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen haben. Die Beklagte habe dies jedoch nicht zu vertreten. Dem Kläger habe klar sein müssen, dass der Inhalt seiner Nachrichten auf seinem Smartphone gespeichert werde und auch nach längerer Zeit noch abrufbar sei. Das Risiko, dass Dritte auf die gespeicherten Nachrichten zugreifen, falle in den Risikobereich des Klägers.

Anforderungen an einen „wichtigen Grund“ im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB

Die Äußerungen des Klägers im Rahmen der Chatgruppe sind grundsätzlich auch geeignet, eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen. Die außerordentliche Kündigung stellt den Extremfall des Kündigungsszenarios dar. Sie kann gemäß § 626 Abs. 1 BGB nur aus wichtigem Grund erfolgen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zum Ablauf der gesetzlichen oder vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dies ist beispielsweise bei groben öffentlichen Beleidigungen des Arbeitgebers oder von Arbeitskollegen der Fall (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 646/11).

Äußerungen im Vertrauensverhältnis stellen keinen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung dar
Im vorliegenden Fall rechtfertigen die Äußerungen des Klägers in der Chatgruppe aufgrund der konkreten Umstände, unter denen sie gefallen sind, jedoch keine Kündigung. Äußerungen gegenüber Familienangehörigen und Vertrauenspersonen, die in einem geschützten Raum stattfinden, sind durch das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit geschützt. Zum Schutz der Persönlichkeit gehört es, dass der Einzelne in einem Vertrauensverhältnis seine Gefühle frei äußern und sein Urteil über Verhältnisse und Personen offen kundtun kann. Ehrverletzende Äußerungen, die unter solchen Umständen getätigt werden, sind als Ausdruck der Persönlichkeit geschützt und gehen dem Schutz der Ehre des von der Äußerung Betroffenen vor (BVerfG, 23.11.2006, 1 BvR 285/06). Dies gilt auch für schriftliche Äußerungen (BVerfG, 11.4.1973, 2 BvR 701/72).

Die Äußerungen des Beschwerdeführers sind Teil einer vertraulichen Kommunikation zwischen den Teilnehmern der Chatgruppe und genießen als solche verfassungsrechtlichen Schutz. Zwischen den Mitgliedern, die seit vielen Jahren befreundet und teilweise miteinander verwandt waren, bestand ein besonderes Vertrauensverhältnis. Die Mitglieder tauschten untereinander Ende-zu-Ende-verschlüsselte Nachrichten aus, die für Außenstehende nicht einsehbar waren. Der Beschwerdeführer durfte aufgrund des langen Bestehens der Chatgruppe (seit 2014) und der engen persönlichen Beziehung zu allen Gruppenmitgliedern auf deren Verschwiegenheit gegenüber Dritten vertrauen. Die Chatgruppe habe auch keinen dienstlichen Bezug gehabt, da sie von den Mitgliedern als private Gruppe gegründet worden sei. Es habe sich daher um einen privaten Meinungsaustausch gehandelt.

Schließlich seien die Äußerungen des Klägers im Rahmen des Gruppenchats nicht geeignet, eine personenbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Der Kläger habe seine im Rahmen des Chats geäußerte Einstellung nicht nach außen getragen. Aus den Äußerungen des Klägers könne nicht geschlossen werden, dass er für die auszuübende Tätigkeit nicht geeignet sei.